Lou Timisono Centum Night - Der freie Fall Taschenbuch, 360 Seiten |
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Meinung: Einen Science-Fiction-Roman ganz nach Orwell'schem Vorbild gibt es mit "Centum Night" von Lou Timisono, erschienen bei Balladine Publishing, zu lesen. Europa in einer nicht allzu fernen Zukunft. Nach einem Krieg, der alles verändert hat, leben die Bewohner nun innerhalb der mächtigen "Costal Alliance" in den ihnen zugewiesenen Zonen. Die Reichen haben sich in ein Luxusrefugium aus künstlichen Inseln, AquaPalaces und lebensverlängerter Medizin gerettet - auf Kosten aller übrigen. Die meisten Menschen müssen in sogenannten "Crime Zones" dahinvegetieren, zwischen brennenden Müllbergen und Ruinen vergangener Tage. Und dazwischen befindet sich - sozusagen als Puffer - die Safety Zone Solocity. Dort leben die sorgsam gedrillten Menschen lust- und gewaltfrei in streng farblich sortierten Zonen und führen ein klinisch einwandfreies Leben. Die "Solos" denken, es verhältnismäßig gut erwischt zu haben. In Solocity gibt es keine Gewalt, keine Lust, keine freundschaftlichen Bindungen - man geht unter der ewigen Kontrolle von "The Eye", der allgegenwärtigen Überwachtungsanlage, seinen Aufgaben nach. Und lebt ein Leben ohne Höhen und Tiefen. Aber immerhin nicht ein Leben im Dreck, so wie es die "Bonnies" in der Crime Zone erleiden und erdulden müssen. Doch dann geschieht das Unfassbare: Jemand zieht mordend seine Kreise durch Solocity. Ein noch nie dagewesener Zustand, der alle beunruhigt. Und der die ganze Aufmerksamkeit des ermittelnden Agents Eddie Bellefleur in Anspruch nimmt. Wer steckt hinter den grausamen Anschlägen? Bahnt sich hier etwa eine Revolution an? Denn Strippenzieher scheint es sowohl in der Crime Zone als auch im Luxusrefugium Youbeau-Naxton zu geben. Schnell wird Solocity aufgerieben zwischen diesen Zonen... Es knistert mächtig im System, denn sowohl die Zustände der Bonnies in Dreck und Elend als auch die künstlich hergestellte Gewaltlosigkeit der Solos, die durch das Kappen von Emotionen erreicht wurde, scheinen unaufhaltsam ins Wanken geraten zu sein. George Orwell schimmert immer und überall durch die Zeilen der packenden, den Spannungsbogen nie locker lassenden düsteren Zukunftsvision. Der Roman liest sich von der ersten Seite an fesselnd, und obwohl man sich zu Beginn mit vielen neuen Begriffen konfrontiert sieht (die alle im Glossar am Ende des Buches erklärt werden), lässt einen "Centum Night" bis zum Schluss nicht mehr von der Angel. Die Story spielt in allen drei Territorien, beleuchtet die mafa-artigen Zustände in der Crime-Zone ebenso plastisch wie die sterilen Lebensverhältnisse der Solocity-Bewohner, die einem beim Lesen immer mehr unter die Haut gehen, und steuert immer schneller und unaufhaltsam auf den großen Knall zu. Was wird aus der Welt, die so nicht mehr zu funktionieren scheint? Lou Timisono wirft gleich ein knappes Dutzend Hauptfiguren in die Geschichte, die allesamt sehr schnell lebendig werden und das Szenario plastisch vor den Augen des Lesers zum Leben erwecken. Fast sieht man den Film schon, der aus dieser Story entstehen könnte.
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